Symbol der NAKSE und Datum der Veranstaltung

Am 26. / 27. September 2019 fand in Berlin die „NAtionale Konferenz für Seltene Erkrankungen“ (NAKSE) statt. Da unsere Selbsthilfegruppe Mitglied der Achse e.V. (Allianz chroninischer Seltener Erkrankungen) ist, sind Ulrike Holzer, Thomas Bantzhaff und ich der Einladung nach Berlin gefolgt und haben an der NAKSE teilgenommen.

Alicia, Ulrike und Thomas. Portraitbild der drei auf der Nase Konferenz

Alicia Kirste, Thomas Bantzhaff und Ulrike Holzer auf der NAKSE-Konferenz in Berlin

Die Achse e.V. ist der Dachverband für ca. 120 Gruppen von seltenen Erkrankungen. Gegründet wurde sie 2005 und ist nach gut 15 Jahren ein etablierter Partner im Gesundheitssystem, welcher sich nach Kräften bemüht auch unsere Stimme zu sein.

 

Begrüßt wurden wir unter anderem von Dr. Jörg Richstein, 1. Vorsitzender der Achse e.V. und von Achse Schirmherrin Eva-Luise Köhler, der Ehefrau unseres ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Frau Köhler engagiert sich seit der ersten Stunde für die Achse e.V. als Schirmherrin und gibt uns und den anderen Menschen mit seltenen Erkrankungen in vielen Situationen ebenfalls eine Stimme.

 

Die ektodermale Dysplasie ist eine von ca. 8.000 seltenen Erkrankungen auf der Welt. Viele Menschen mit seltenen Erkrankungen sind immer noch sich selbst überlassen. Sie legen lange Wege bis zur Diagnosefindung zurück (im Durchschnitt 5 – 7 Jahre) und stehen oft einem ratlosen Therapeutenteam gegenüber, welches häufig zu Fehlbehandlungen und Fehldiagnosen führt. Viele Erkrankte erhalten Zeit ihres Lebens leider keine Diagnose. Sabine Weiß (Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit) nahm in ihrer Rede Bezug auf Menschen ohne Diagnose und machte deutlich, dass für diese Menschen bis heute leider auch noch keine Selbsthilfegruppe in Deutschland existiert.

 

Über seltene Erkrankungen gab es vor 10 Jahren noch kaum Kenntnisse. Daher wurden Sorgen, Nöte und Einschränkungen von seltenen Erkrankungen in geringem Maße Aufmerksamkeit und Gehör geschenkt. Durch die Arbeit der Achse e.V. hat sich dies bis heute schon etwas verändert. Seltene Erkrankungen werden wiederholt in der Politik in den Fokus gerückt. Projekte wie der „Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen“ (NAMSE) oder das GKV-Stärkungsgesetz werden erarbeitet, gefördert und schrittweise umgesetzt, wie Sabine Weiß (BMG) in ihrer Rede darstellte. Eva-Luise Köhler wies in ihrer Begrüßungsrede allerdings darauf hin, dass vom NAMSE bisher nicht alle enthaltenen Maßnahmen getroffen wurden und daher weiterhin Handlungsbedarf besteht. (Inhalt des NAMSE ist nachzulesen unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de – NAMSE suchen und öffnen).

 

Seit 2010 wurden 15 Projekte von seltenen Erkrankungen gefördert. Ein geringer Teil im Hinblick auf 8.000 seltene Erkrankungen, aber dennoch ein Anfang. Ein weiterer Schwerpunkt der politischen Arbeit ist die Verbesserung des Schnittstellen-Management. Dies bedeutet, dass die Kommunikation und Absprachen der einzelnen medizinischen Fachbereiche (z.B. Zentren, Kliniken, Praxen) verbessert und auch möglichst vereinfacht werden sollen. Dies bietet dem Patienten weniger unnötige Wege und Gespräche sowie eine Vereinfachung der Diagnosestellung. Frau Staatssekretärin Weiß stellte ebenfalls klar, wie wichtig es dem Bundesministerium ist, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen im Gesundheitssystem sichtbar werden. Dies soll in der Krankheitskodierung umgesetzt werden. Laut ihrer Aussage sind aktuell ca. 500 von 8000 seltenen Erkrankungen mit einer eigenen ICD-Kodierung versehen. Die ICD-Kodierung der anhidrotischen ektodermalen Dysplasie ist die Q82.4 . Dr. Jörg Richstein stellte in seiner Rede allerdings klar, dass das Kodierungssystem unseres Gesundheitssystems ein Schubladensystem sei und seltene Erkrankungen einfach nicht in Schubladen passen. Auch in diesen Punkten ist noch viel Arbeit nötig um uns, den Menschen mit seltenen Erkrankungen, gerecht zu werden.

 

Neben seiner Arbeit als Achse-Vorsitzender tritt Jörg Richstein auch stark für Betroffene und ihre Angehörige ein. Da er selbst Vater eines betroffenen Kindes ist, äußert er sich betont kritisch bezüglich des deutschen Gesundheitssystems. Er thematisiert viele Fragen und Thesen, welche sicherlich viele von uns auch beschäftigen. Kritisch äußert er sich über den Stellenwert von Gesundheit als Kapital. Diese Einstellung führt häufig zu vermehrter Bürokratie mit Prozessverzögerung und anstrengende Kämpfe um benötige Hilfsmittel. Notwendigkeiten werden zu Bagatellen hinabgestuft und daher oft nicht beachtet und als kostenintensiv eingestuft. Einhergehend stellt Jörg Richstein die Inklusionsbemühungen klar in Frage, da häufig ein Informationsmangel herrsche und Bedürfnisse von Menschen mit seltenen Erkrankungen nicht ernst genommen und berücksichtigt werden. Erschwerend komme hinzu, dass Ärzte keine Expertise, also eine Fachkompetenz, bekannt werden lassen wollen, da dies für sie zu finanziellem Verlust bei den Behandlungspauschalen führe. Unter Aspekt aller Widrigkeiten stellt Jörg Richstein ganz klare Forderungen. Was wir nicht wollen; …

 

  • … das Alleinlassen von Kranken und Behinderten.
  • … das Ausnutzen von Schwächen.
  • … das Patienten immer kämpfen müssen
  • … das halbe Leben im Wartezimmer zu verbringen.
  • … die Behinderung des förderalen Systems.
  • … die Hürden für die Selbsthilfe.
  • … das Dinge von Patienten ohne den Patienten besprochen und geklärt werden.

 

Um einige der oben genannten Punkte umzusetzen, wird unter anderem an der Etablierung von Zentren für seltene Erkrankungen (ZSE) an den Universitätskliniken als A-Zentrum gearbeitet, welche in erster Linie eine Lotsenfunktion erfüllen sollen. Ergänzt werden sie durch B-Zentren, welche sich spezialisieren und weiterführunde Untersuchungen vornehmen. Ein Beispiel für ein B-Zentrum ist unser ZEDER in Erlangen. Eine zusätzliche Erweiterung sind die C-Zentren. Dies sind beispielsweise Krankenhäuser oder Arztpraxen. Bisher gibt es 35 ZSE in Deutschland, wie mehrere Redner wiederholt aufgriffen. Diese besitzen bisher allerdings keine Zertifizierung als ZSE, da sich das Zertifizierungsverfahren noch in Planung und Umsetzung befindet. Eine Zertifizierung als Zentrum für seltene Erkrankung soll uns Menschen mit seltenen Erkrankungen eine Garantie geben, dass sich das Zentrum der Einhaltung bestimmter Anforderungen für den Umgang mit seltenen Erkrankungen verpflichtet hat und dazu angehalten ist, die umzusetzen und durchzuführen. Für die ektodermale Dysplasie haben sich das ZEDER in Erlangen sowie das CSE Münster als Ansprechpartner etabliert. Es wäre zur Datenerfassung und zum Datenvergleich auf lange Sicht wünschenswert, dass diese Zentren für alle Fragen rund um die ektodermale Dysplasie kontaktiert und besucht werden. Die Umsetzung von Kompetenzzentren, welche sich auf eine oder wenige Erkrankungen spezialisieren, fördert eine gute Professionalisierung für die erforschten und unterstützen Erkrankungen.

 

Erschwert wird die Arbeit der ZSE und Kompetenzzentren durch die mangelnden finanziellen Möglichkeiten. Gerade auf Forschungsebene stehen kaum offizielle Geldmittel zur Verfügung und der forschende Mediziner ist auf private Geldmittel und Spenden angewiesen. Dies erleben wir hautnah an der Entwicklung unseres seltenen Medikaments (Orphan drug). Durch die wechselnden Investoren hat unser Orphan drug schon einige Namen gehabt, wie EDI200 oder ER004. Aber auch bei anderen seltenen Erkrankungen sieht es ähnlich aus. Durch fehlende Geldgeber, aber auch durch Mangel an Nachwuchsforschern, werden zum Teil vielversprechende Medikamentenstudien eingestellt. Hinzukommen lange Zulassungszeiten und mangelnde Datenmengen um repräsentativ zu sein. Trotz der langen Zulassungszeiten ist Deutschland weltweit vorne bei der Zulassung von Orphan drugs und übernimmt sind seit fast 20 Jahren gelegentlich die Kosten für die Behandlung mit einem Orphan drug. Insgesamt fehlen aber noch für 90% der 8.000 seltenen Erkrankungen zugelassene Behandlungen. Um Diagnostik, Forschung und Therapie aufrecht erhalten zu können werden folgende Punkte benötigt:

 

  • Vergütung für die Dauer der Diagnosefindung
  • Bessere finanzielle Förderung von Forschung und Therapien
  • Bessere finanzielle Versorgung im ambulanten Bereich
  • Bessere Informationsdeckung bei niedergelassenen Ärzten
  • Steigerung des Experten-Vernetzungsgrades; auch im medizinisch-informativen Bereich
  • Mehr Investition im Studium / in die Arztausbildung
  • Finanzielle Förderung für die Medikamente der Seltensten der Seltenen Erkrankungen
  • Fotodokumentation von Mermalen als Tool-Erweiterung
  • Selbsthilfegruppen mit Beratungsgeldern ausstatten => Selbsthilfe als strukturelles Instrument im medizinischen Prozess

 

Neben den bisher genannten nationalen Plänen und Umsetzungen darf die internationale Erweiterung der Themen nicht ungeachtet bleiben. Die europäische Organisation für Seltene Erkrankungen (EURORDIS) wurde auf der NAKSE durch Yann le Cam vertreten. Er machte mehr als deutlich, wie unerlässlich die Erweiterung auf internationaler Ebene ist, da bei guter Vernetzung und Struktur eine europäische und sogar globale Expertise und grenzüberschreitende Intelligenz erreicht werden kann und soll. Aktuell fehlen für die Verbreitung erlernten Wissens noch Strukturen in Deutschland. Ansätze zur Umsetzung sind aber schon einige in der Durchführung. Im europäischen Bereich existieren bereits Europäische Referenznetzwerke (ERN), welche 2017 gegründet wurden. Aktuell gibt es 24 Netzwerke mit mehr als 900 Expertisezentren. 120 Zentren sind davon allein in Deutschland. Langfristig soll international die Hilfe zum Patienten kommen, welches bedeutet, dass der Patient nicht grenzüberschreitend reisen muss. Für uns engagiert sich besonders Ulrike Holzer im internationalen Bereich, aber auch Andrea Burk vertritt uns wiederholt. Beide geben uns in vielen Veranstaltungen eine Stimme.

 

Zusammenfassend war die Konferenz sehr informativ, nicht alles hat heute seinen Platz hier gefunden. Leider wurde die Arbeit der Selbsthilfegruppen kaum ins Visier genommen, da der Schwerpunkt anderweitig gesetzt war. Nicht unerwähnt möchte ich in diesem Zusammenhang aber die weltweit einzigartige jährliche finanzielle Aufwendung des Bundesministeriums für Gesundheit für die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 82,2 Mio € lassen. Mit diesem Geld sollen ausschließlich die Selbsthilfegruppen in Deutschland unterstützt und gefördert werden. In den zwei Tagen zeigte sich, dass schon einiges für uns und die anderen seltenen Erkrankungen getan wurde. Dennoch kristallisierte sich insgesamt heraus, dass noch sehr viel Arbeit vor der Achse e.V., unserer Politik, EURORDIS, aber auch jedem einzelen von uns liegt. Nur gemeinsam können wir unsere Rechte als Mitglieder einer seltenen Erkrankung voran bringen und uns unterstützen, denn wir sind Teil von 4.000.000 Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland.


Mehr Informationen und Bilder von der NAKSE gibt es hier: www.achse-online.de